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Queere Interessenvertretung ohne diverse Repräsentation. Geht das?

In Deutschland leben wir in einer repräsentativen Demokratie. Das bedeutet dass das Volk Vertreter wählt, welche die politischen Entscheidungen treffen. Hierbei gibt es keine Quoten, die die Repräsentation bestimmter Gruppen sicherstellen. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass auch nicht vertretene oder unterrepräsentierte Gruppen von allen ausreichend bedacht werden. Am Beispiel der queeren Interessenvertretung lässt sich jedoch die Frage aufwerfen: Funktioniert das überhaupt ausreichend? Die Ergebnisse sind wohl auch für andere Diversitätsaspekte anwendbar.


Die queere Community besteht aus vielen Teilen, was sich am Kürzel der LSBTIQ+ (lesbisch, schwul, bisexuell, trans- und intergeschlechtlich, queer und weitere) zeigt. Jede dieser Gruppen hat zum Teil eigene Interessen, jedoch hat man sich zu einer Community zusammengeschlossen, da es viele Überschneidungen gibt und man so größeren Einfluss ausüben kann.


Wie steht es um die Repräsentation?

Schaut man in die zivilgesellschaftliche Interessenvertretung, sprich auf Vereine die sich für die Interessen queerer Menschen einsetzen, wie den CSD Vereinen, den LSVD oder politischen Vorfeldorganisationen, so fällt auf, dass bereits das Geschlechterverhältnis massiv unausgeglichen ist (Abb.1).


Quere Interessenvertretung ohne Diversität
Abb.1: Vorstände nach Geschlecht

Mehr als zwei Drittel der Vorstände sind hier männlich, sodass eine gleichmäßige Repräsentation schon nur schwer möglich ist.


Warum sind Schwule so überrepräsentiert?


Schaut man in die Politik oder auch speziell in den Bundestag, wo viele der Entscheidungen, die die queere Interessenvertretung voranbringen möchte getroffen werden, fällt in puncto Diversität und Repräsentation eines sofort auf: nur rund ein Drittel der Abgeordneten ist weiblich (Deutscher Bundestag, 2023).

Quere Interessenvertretung ohne diversität

Der Überhang an Männern in der queeren Interessenvertretung lässt sich also mit den gleichen Argumenten wie für die Politik allgemein begründen. Mit erlebten Benachteiligungen, der politischen Kultur und zeitlichen Bedingungen, die politisches Engagement nur schwer mit der üblicherweise von Frauen erledigten Care-Arbeit vereinbaren lassen, sind die Gründe vielfältig (Salzen, 2019). Dieser Frauenmangel wird an vielen Stellen bereits erkannt und versucht zu verändern.


All das begründet aber nur die Geschlechterdifferenz. Warum nun aber gerade Schwule derartig stark vertreten sind, dafür hat Andreas Heilmann einen Erklärungsansatz geliefert. Grundlage hierfür ist die bereits von Hirschauer beschriebene Abwertung aller queeren Lebensformen durch die Gesellschaft, da sie der gegensätzlichen Zweigeschlechtlichkeit scheinbar widersprechen (Hirschauer, 1996). Dies zeigte sich in der gesellschaftlichen Ausgrenzung oder darin, dass Homosexualität bis 1994 in Deutschland strafbar war und Transgeschlechtlichkeit sogar bis 2019 von der WHO als Krankheit geführt wurde (Bundespsychotherapeutenkammer, 2019).


Nach Andreas Heilmann ist es so, dass durch Vorreiter, also schwule Politiker, das negative Bild von Schwulen insbesondere in der Politik verschoben werden konnte: „[W]enn hegemoniale Männlichkeit stets als heterosexuelle definiert ist [...], wird sie durch die selbstbewusste Repräsentation homosexueller Männlichkeit in dominanten Positionen durchkreuzt und herausgefordert.“. Personen, wie die homosexuellen Bürgermeister Klaus Wowereit („Ich bin schwul und das ist auch gut so.“) und Ole von Beust oder der Vizekanzler Guido Westerwelle haben also durch ihre Positionen in der Politik gezeigt, dass homosexuellen Politikern nichts fehlt und damit den Weg für viele weitere frei gemacht. Mit Sven Lehmann, Thomas Sattelberger, Jens Spahn oder Dr. Jens Brandenburg sind ihnen viele weitere Schwule Politiker in der Bundesregierung gefolgt.


Quere Interessenvertretung ohne diversität

Derartige Vorreiter fehlen den anderen Gruppen der queeren Community in der Politik bislang. Mit Ricarda Lang (bisexuell), Tessa Ganserer (transgeschlechtlich) oder auch Alice Weidel (lesbisch) gibt es bereits Personen, die diese Rolle haben könnten. Das wird sich jedoch erst im Rückblick zeigen.


Welche Auswirkungen hat das?


Wie bereits erwähnt sollten diese Unterschiede in der repräsentativen Demokratie eigentlich nicht relevant sein. Schaut man sich jedoch die letztendlich erreichten Erfolge der queeren Interessenvertretung der letzten Jahre an, stellt man fest, dass dem nicht so ist.


Angeführt werden können hier das Diskriminierungsverbot bei der Blutspende, das Recht auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts („Ehe für alle“), das Verbot von Konversionstherapien, die Entschädigung homosexueller Soldaten und die Einstufung von Straftaten gegen die sexuelle Orientierung als Hassverbrechen. All diese Erfolge betreffen jedoch (zum Teil ausschließlich) Schwule. Interessen, die homosexuelle Männer nicht oder nicht so stark betreffen, werden in Debatten zwar regelmäßig vorgebracht, jedoch sind die Umsetzungserfolge hier deutlich geringer. Nicht umgesetzt sind hier die Co-Mutterschaft lesbischer Paare, das Selbstbestimmungsgesetz für transgeschlechtliche Menschen, sowie deren Entschädigung für in der Vergangenheit durch Gesetze erlittene Zwangsscheidungen und Körperverletzungen und der vollständige Schutz intergeschlechtlicher Kinder.


Von einem funktionieren der repräsentativen Demokratie kann man hier also nicht sprechen. Vielmehr stellen politische Entscheidungsträger ihre eigenen Interessen vorn an, sodass es durch das massive Missverhältnis der Repräsentation innerhalb der queeren Interessenvertretung zu sehr unausgewogenen Entscheidungen kommt. Die Vermutung liegt nah, dass dies nicht nur bei queeren Themen der Fall ist, sondern auch andere Aspekte wie der Bildungshintergund (wenn im politische Diskurs nur über Gymnasien gesprochen wird), das Geschlecht (zum Beispiel beim Thema Ehegattensplitting) oder das Alter (wie beim aktuellen Rentenpaket zu sehen) einem Missverhältnis unterliegen könnten.


Abschließend lässt sich also sagen: Queere Interessenvertretung ohne diverse Repräsentation - das geht - aber nicht gut. Wir brauchen mehr Vertreter aller queeren Gruppen in Politik und zivilgesellschaftlichen Gruppen, um den vielfältigen Interessen der Community gerecht zu werden.



 

Dieser Text ist im Seminar „Diversity im Lern- und Arbeitsumfeld“ entstanden, welches Rea Eldem, Gründerin und Geschäftsführerin von IN-VISIBLE am Hasso-Plattner-Institut leitet. Der Autor Sebastian Mitte ist Student des Studiengangs IT-Systems Engineering uns selbst sowohl in der queeren Interessenvertretung in zwei Vereinen als auch im politischen Bereich aktiv.



Queere Interessenvertretung ohne diverse Repräsentation -Literatur


Bundespsychotherapeutenkammer. (18. Dezember 2019). Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit sind keine Krankheiten. Von Bundespsychotherapeutenkammer: https://www.bptk.de/pressemitteilungen/homosexualitaet-und-transgeschlechtlichkeit-sind-keine-krankheiten/ abgerufen


Deutscher Bundestag. (April 2023). Anteil der Frauen im 20. Deutschen Bundestag nach Fraktionen im Jahr 2023 . Von Statista: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1063172/umfrage/frauenanteil-im-bundestag-nach-fraktionen-in-deutschland/ abgerufen


Heilmann, A. (2011). Normalität auf Bewährung. Outings in der Politik und die Konstruktion homosexueller Männlichkeit.Bielefeld: transcript Verlag.


Hirschauer, S. (1996). Wie sind Frauen, wie sind Männer? Zweigeschlechtlichkeit als Wissenssystem. In Was sind Frauen? Was sind Männer? Geschlechterkonstruktionen im historischen Wandel (S. 240-256). Frankfurt/Main: Suhrkamp.



Salzen, C. v. (08. März 2019). Männerwirtschaft Politik: Warum sind Frauen eine Minderheit in den Parlamenten? Von tagesspiegel.de: https://www.tagesspiegel.de/politik/warum-sind-frauen-eine-minderheit-in-den-parlamenten-6607660.html abgerufen

 


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