„...Das klingt jetzt sehr hart: Viele Erwachsene habe über die Jahre hinweg gelernt mit Diskriminierung umzugehen und ihre eigenen Bewältigungsstrategien entwickelt. Dies heißt aber nicht, dass Erwachsene all ihre Rechte bzgl. Diskriminierung kennen. Aber Jugendliche und junge Erwachsene wissen oft noch weniger und tendieren dazu, ihr Wissen und die benötigte Hilfestellung im Internet zu suchen. Yana soll allen Betroffenen die Möglichkeiten bieten, sich über ihre Rechte aufklären zu lassen und/oder psychologische Beratungsstellen zu finden."
Hi Meryem! Danke, dass du dir die Zeit für uns nimmst. Du bist ganz schön gut beschäftigt: Du bist Beraterin bei IBM und entwickelst gleichzeitig derzeit den “Yanabot” erheblich mit, ein Chatbot, der rechtliche Beratungstipps gibt und Nutzer*innen Beistand leisten soll, wenn sie Diskriminierungserfahrungen machen. Wie geht es dir in dieser Doppelrolle?
Hi! Danke, dass ich hier Yana vorstellen darf. Die „Doppelrolle“ kann ich mittlerweile genießen. Gestartet bin ich ja tatsächlich als ehrenamtliche technische Beraterin, um Said Haidar vor allem von seinem eigenem Vorhaben zu überzeugen. Das Ausbalancieren zwischen Ehrenamt und Vollzeitarbeit nimmt immer etwas Zeit in Anspruch, bin aber seit meiner Jugend sehr geübt in diesen Dingen. Mehr zu Yana: Die Idee zu Yana ist im Hackathon 2019 entstanden, nun bist du als Mitgründerin wesentlich an der Umsetzung beteiligt. Wie ist es zur Idee des Yana gekommen und warum braucht die Welt sowas?
Die Idee zu einem Chatbot, welcher Unterstützung bei Diskriminierungsvorfällen bietet, hatte mein Mitgründer Said bereits vor dem Hackathon. Da wir aber an einer Lösung arbeiten wollten, die wirklich einen Impact für die Betroffenen hat, entschieden wir uns dafür, die Betroffenen gleich von Anfang an miteinzubeziehen. So haben wir zunächst den Hackathon organisiert und umgesetzt.
Der Hackathon brachte uns in vielen Punkten weiter: Wir haben von unterschiedlichen Personengruppen unterschiedliche Formen von Diskriminierung kennengelernt, die uns nicht sofort in den Sinn kommen, wenn man von Diskriminierung redet z.B. neurodiverse Personen. Wir haben von sehr speziellen Situationen gehört wie aus dem medizinischen Umfeld.
So unterschiedlich die Erfahrungen und Lösungsansätze auch waren, alle Personen im Hackathon suchten nach konkreten Antworten auf ihre Hilfestellung. Die Freude war sehr groß, als einen Gruppe, bestehend aus zwei Chatbot-Entwicklerinnen, an einem Konzept zum Einsatz von Chatbots bzgl. Antidiskriminierungsarbeit arbeiteten. Und diese beiden Entwicklerinnen konnten wir für den Vorläufer für Yana, Meta, gewinnen. Nach einigen Höhen und Tiefen wurde dann 2022 aus Meta Yana.
Das klingt nach einer spannenden Reise. Ich finde es super, dass ihr mit euren Nutzer*innen zusammen entwickelt habt, und nicht für sie. Das ist ja häufig bei der Entwicklung von Ideen eher nicht die Norm. Als wir uns kennengelernt haben, meintest du, “Yana lernt gerade laufen”. Was heißt das genau und wie sehen diese ersten Laufversuche aus?
Um die Frage zu beantworten, sollte ich kurz erklären, wie ein Chatbot entsteht. Im Mittelpunkt der Chatbot-Entwicklung stehen die Fragen des Nutzers, auf die der Chatbot reagieren soll - im besten Fall liefert der Bot die korrekte Antwort auf die gestellte Frage. Konkreter: Ein Chatbot wird trainiert. Er soll auf Fragen mit passenden Informationen antworten. Mit diesem Frage-Antwort-Training entsteht dann die KI (künstliche Intelligenz). Yana befindet sich aktuell noch in dieser Trainingsphase und lernt täglich Neues dazu. Noch kann Yana nicht alle Fragen beantworten und wird definitiv auch noch viel lernen müssen.
Yana ist vor allem an Jugendliche gerichtet. Wieso?
Die Hauptzielgruppen sind Jugendliche und junge Erwachsene, da sie sich noch im Leben zurechtfinden müssen. Das klingt jetzt sehr hart: Viele Erwachsene habe über die Jahre hinweg gelernt mit Diskriminierung umzugehen und ihre eigenen Bewältigungsstrategien entwickelt. Dies heißt aber nicht, dass Erwachsene all ihre Rechte bzgl. Diskriminierung kennen. Aber Jugendliche und junge Erwachsene wissen oft noch weniger und tendieren dazu, ihr Wissen und die benötigte Hilfestellung im Internet zu suchen. Yana soll allen Betroffenen die Möglichkeiten bieten, sich über ihre Rechte aufklären zu lassen und/oder psychologische Beratungsstellen zu finden. Jugendliche sind hier die Hauptzielgruppe, weil sie die Infos eben genau auf diesen digitalen Wegen suchen. Das klingt plausibel. Bei IN-VISIBLE erleben wir allerdings, dass es auch Erwachsene Unsicherheiten bezüglich Diskriminierung haben. Tatsächlich werden eigene Diskriminierungserfahrungen oft relativiert und nicht als solche eingeordnet. Kann Yana auch hier Hilfestellung leisten, zum Beispiel im Kontext von Sexismus am Arbeitsplatz?
Ja, definitiv. Yanas rechtliche Erstberatung beruht auf dem AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) und entsprechend des Diskriminierungsvergehens werden benötigte Informationen wiedergegeben. Durch die Eingaben der Nutzer soll Yana erst aufklären und dann Hilfestellungen anbieten, sofern dies vom Nutzer gewünscht ist. Yana ersetzt hierbei keinesfalls die Rechtsberatung durch einen Anwalt, sondern zeigt auf, welche Optionen ich als betroffene Person habe. Yana soll ermutigen, Diskriminierungsvorfälle zu melden und anzuzeigen.
Dafür gibt es, so meine Perspektive, auf jeden Fall einen riesigen Bedarf. Nun ist 2019 schon eine kleine Weile her, der Hackathon und der Start eurer Reise damit auch. Mich würde noch interessieren, was du persönlich für Erfahrungen gemacht hast. Du meintest zu mir, du und dein Team haben nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Was waren Hürden? Der Erfolg eines Projektes, egal in welchem Kontext, hängt von vielen Faktoren ab. Wir haben auf die harte Tour gelernt, dass nicht jeder auf dieselben Ziele hinarbeitet - trotz gemeinsamer Definition eben dieser Ziele. Ein Verantwortungsgefühl sowie eine transparente Kommunikation zähle ich mittlerweile als Must-Have in der Zusammenarbeit. Ein weiterer Faktor ist die Bereitschaft für Neues. Im Kontext der Digitalisierung begegne ich immer wieder der Angst - Angst vor Verlust und Angst vor Veränderung. Und diese Angst führt in vielen Fällen zur Abkapselung und Verhärtung der Fronten. In einem offenen Gespräch mit allen Beteiligten kann ich die Angst vor Verlust und Veränderung nehmen. Die Bereitschaft zum transparenten Gespräch muss aber da sein. Auch merke ich sehr oft, dass wenige Verantwortung übernehmen wollen, wie z.B. Deadlines einzuhalten oder Gefordertes zu liefern. Ein Produkt entsteht nur, wenn alle Beteiligten sich ihren Verantwortungen bewusst sind und diese nachgehen. Ich pflege auch die Einstellung, Fehler oder Fehlschläge nicht als Tragödie anzusehen. Der eine Lösungsansatz hat nicht funktioniert, dann versuchen wir den nächsten. Fail fast - das ist da meine Devise.
Ja, das kenne ich auch aus dem Design Thinking. Fail often and early. Lieber schnell dazulernen, neu anfangen, verändern - als ewig auf ein Luftschloss hinarbeiten. Da teile ich deinen Mindset. Du meintest mal zu mir, euer Team sei sehr divers aufgestellt. Inwiefern macht sich das in eurer Arbeitsweise und dem Produkt bemerkbar?
Wenn ich Yana alleine entwickeln würde, würde Yana ohne Begrüßung gleich zum Hauptanliegen kommen, die benötigten Informationen liefern und dann verstummen. Da bin ich sehr pragmatisch. Unser Design Team besteht u.a. aus Psychologen, Conversational Designer u.v. und konnte mir gut durch User Research zeigen, dass das Yana weniger empathisch macht. Jedes Teammitglied bringt nicht nur seine fachliche Expertise mit, sondern auch persönliche Erfahrungswerte. Und genau diese unterschiedlichen Blickwinkel helfen dabei, Yana eine eigene Individualität zu geben.
Von so viel Diversität träumen viele andere Tech-Start-Ups. Sie sind oft international, aber eher weiß und männlich geprägt. Wie habt ihr so unterschiedliche Personen für eure Sache gewinnen können?
Das Ziel und die damit verbundene Idee bringt immer das Team zusammen. Ich bin überzeugt davon, dass das Thema Diskriminierung eine offene Wunde unsere Gesellschaft ist. Viele sind in irgendeiner Weise von Diskriminierung betroffen und suchen einen Lösungsweg. Wieso also nicht gleich an einer Lösung mitentwickeln? All unsere Mitstreiter*innen waren von der Idee begeistert und auch ehrenamtlich aktiv. Zeitweise waren wir bis zu 15 Personen am Projekt beteiligt.
An welchen Momenten bist du als Person aber auch in deiner Rolle am meisten aus dir herausgewachsen? Was hast du daraus gelernt?
Puh, das ist schwer einzugrenzen. Mit jedem Schritt lernt man eigentlich was dazu. Meine größte Herausforderung war und ist, dass Personen mich und meine Fähigkeiten anerkennen und mir auch vertrauen. Ich bringe viel Erfahrung mit, muss aber jedes mal um die Anerkennung meiner fachlichen Expertise kämpfen. Während viele meiner männlichen Kollegen locker fluffig aufgenommen werden und gesagtes in Teilen ungeprüft akzeptiert wird, sehe ich, wie viele meiner Kolleginnen über mehrere Wochen hinterfragt und „geprüft“ werden. Das ist sehr frustrierend. Ich habe gelernt, meine Arbeit zu dokumentieren, geplantes und umgesetztes Vorgehen mit Fakten zu belegen und zu argumentieren. Das ist zwar umständlicher, bezeugt aber meine Expertise.
Danke vielmals, liebe Meryem. Wir freuen uns, dich für People Who Inspire Us gewinnen und andere an eurer inspirierenden Arbeit teilhaben lassen zu können.
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Das Interview führte Rea. Mehr Infos über den Yanabot könnt ihr auf der Webseite finden oder auf Social Media.
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