"Wir alle sollten einfach verstehen, dass es auch heute noch vorwiegend Männer sind, die in den Entscheidungsgremien, den Redaktionen, in der Politik, in der Wirtschaft, in Personalabteilungen und Co. sitzen und dadurch viele Entscheidungen treffen, die die berufliche Situation von Frauen negativ, aber eben auch positiv beeinflussen und somit ändern könnten." Kennt ihr Alexandra Zykunov? Sie ist Redaktionsleiterin bei der BRIGITTE BE GREEN sowie Head of Content Innovation und Redakteurin für feministische und gesellschaftliche Themen bei der BRIGITTE. Als Journalistin wurden ihre Artikel im Spiegel Online, Brigitte Mom, der WELT und vielen anderen Zeitungen und Magazinen veröffentlicht. Alexandra wurde 1985 geboren und lebt heute in Hamburg mit ihrem Partner und zwei Kindern. Außerdem spielt sie in der Welt der sozialen Medien eine große Rolle. Als @alexandra___z schreibt sie auf Instagram über die Unsichtbarkeit von Frauen- und Familienthemen in der Politik.
Alexandra hat im Februar ihr erstes Buch "Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!" veröffentlicht. Dieser Titel bezieht sich auf sogenannte Bullshit-Sätze über Gendergerechtigkeit und Gendergleichstellung, die gesagt werden, obwohl sie weit von weg von realen Tatsachen sind. Ihr Buch stellt ein Handbuch dar, wie man mit 25 solcher Bullshit-Sätze, wie zum Beispiel “Frauen wollen doch gar keine Karriere machen”, umgeht.
Wir haben ihr ein paar Fragen zu ihr und ihrer Arbeit gestellt:
Warum hast du dich entschieden, deine Zeit darin zu investieren, Care-Arbeit und Sexismus-Themen am Arbeitsplatz zum Diskussionsthema zu machen?
“Ich habe mich dazu entschieden, weil ich sie einfach selbst erlebt habe. Bei meiner Arbeit sowohl bei mir als auch bei Freundinnen und Kolleginnen habe ich erlebt, wie stark es eine Rolle am Arbeitsplatz vor allem für Frauen spielt, ob sie Kinder haben oder nicht, wie viele Kinder sie haben, ob sie in Elternzeit waren oder nicht, wie lange sie in Elternzeit waren, dass sie nicht zu kurz, aber auch nicht zu lange in Elternzeit waren. All diese eigentlich privaten Dinge spielen beim Vorankommen von Frauen im Beruf eine große Rolle, nicht aber beim beruflichen Fortschritt von Männern. Dass es bei Frauen so eine große Rolle spielt, habe ich in Teilen auch selbst erlebt. Es wurden Arbeitsverträge von Kolleginnen und Freundinnen nicht verlängert, wenn sie in Elternzeit waren oder es wurde ihnen am ersten Tag nach der Elternzeit gekündigt. Plötzlich war die vorherige Stelle weg, entweder war die Position nicht mehr da oder sie wurde von einer Person ohne Kinder besetzt. Diese Fälle geschehen tagtäglich in Deutschland. Über diese Fälle, die zu gefühlt 99 % Frauen betreffen, wird jedoch sehr wenig gesprochen und gegen sie gibt es auch rechtlich keine richtige Handhabe. Das ist hochgradig unfair und deswegen fing ich an, auf diese Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen, indem ich darüber spreche und schreibe.”
Warum glaubst du, dass deine Arbeit in der Redaktion und darüber hinaus verstärkt auf Instagram und als Autorin so wichtig ist?
“Ich denke, wir alle sind Teil eines Systems und das System wird von uns allen geprägt. Sehr viele Frauen erleben Ungerechtigkeiten und haben keine Chance dagegen anzukämpfen, weil es zum Teil Frauen sind, die in prekären Arbeitsverhältnissen stecken und von ihren Jobs existenziell abhängig sind. Oder auch Alleinerziehende, die mehrere Jobs haben und alle Jobs behalten müssen. Aus Angst ihre Jobs zu verlieren, haben sie keine Kraft und keine Chance Kritik zu äußern. Deshalb ist es wichtig, dass Menschen mit vielen Privilegien, die vielleicht festangestellt sind und Jobs haben, in denen sie Einfluss nehmen können (z. B. Medien, Politik, Schulwesen), dass diese Menschen versuchen, für all die, die es nicht können, am bestehenden System zu rütteln. Einer dieser Menschen bin ich. Ich habe viele Privilegien: Ich bin gesund, habe ein Dach über dem Kopf, eine gesunde Beziehung auf Augenhöhe, einen gut bezahlten unbefristeten Job. Das alles ist bei weitem nicht selbstverständlich. Deswegen nehme ich diese Privilegien und nutze sie, um Kritik zu äußern. Vor allem habe ich das große Glück, dass mein Job viele Menschen erreicht und Missstände aufdecken kann und dass das auch von meinem Job erwartet wird. Diese große Reichweite habe ich in meinem journalistischen Alltag, in meinem Content Creator Alltag und jetzt auch als Buchautorin. Damit habe ich auch ein Stückweit Verantwortung und muss mir deswegen Gedanken über die Inhalte machen, die dann vielfach gelesen und geteilt werden und kann auf den verschiedenen Kanälen auf die Missstände aufmerksam machen. Das finde ich auch besonders wichtig.”
Warum glaubst du sollten nicht nur Frauen und Mütter sich mit dieser Ungleichheit beschäftigen und z.B. dein Buch lesen?
“Einerseits wäre es natürlich super, wenn zunächst auch junge Frauen und Frauen ohne Kinder, die vielleicht von der Ungleichbehandlung am Arbeitsplatz (bisher noch) nicht so hart getroffen sind, dieses Buch lesen würden. Es wäre gut, wenn auch ältere Frauen das Buch lesen, die vielleicht gedacht haben, sie haben sich ihren Werdegang freiwillig ausgesucht, um zu verstehen, dass vermutlich viele Entscheidungen vielleicht doch nicht so freiwillig waren. Andererseits wäre es vor allem natürlich unfassbar wichtig, wenn gerade Männer dieses Buch lesen würden: Junge und alte Männer, Männer mit oder ohne Kinder. Dann könnten sie sehen, wie sehr sie, ohne es zu wollen, im Grunde Karrieren auf dem Rücken vieler Frauen aufgebaut haben. Es wäre großartig, wenn sie hierfür ihre Augen öffnen würden und auch offen für Kritik wären. Dann könnten sie auch verstehen, dass sie nicht unbedingt persönlich bestimmte Dinge falsch gemacht haben, sondern dass das patriarchale System dafür verantwortlich war, sie in diese Entscheidungen gedrängt zu haben. Wir alle sollten einfach verstehen, dass es auch heute noch vorwiegend Männer sind, die in den Entscheidungsgremien, den Redaktionen, in der Politik, in der Wirtschaft, in Personalabteilungen und Co. sitzen und dadurch viele Entscheidungen treffen, die die berufliche Situation von Frauen negativ, aber eben auch positiv beeinflussen und somit ändern könnten. Ich wünschte, Männer würden dieses Buch lesen. Gleichzeitig weiß ich, dass wir noch lange nicht so weit sind. Deshalb bin schon froh, wenn so viele Frauen wie möglich dieses Buch lesen, da auch unter ihnen noch sehr viele Frauen glauben, dass wir doch alle längst gleichberechtigt sind. Genau diese Frauen möchte ich so gern wachrütteln und sagen: “Wacht mal aus eurem Dornröschenschlaf auf, wir sind noch lange nicht da, wo wir sein sollten”. Ich bin realistisch und denke, dass es schon toll wäre, wenn Frauen ihre Augen öffnen und feststellen würden, in welchen Ungerechtigkeiten wir immer noch im Jahr 2022 leben.”
Du hast 25 so genannter Bullshit-Sätze für dein Buch ausgewählt, das ist bestimmt nur ein Bruchteil aller Bullshit-Sätze die Frauen im Alltag hören. Warum hast du diese ausgewählt, sind sie vielleicht die die besonders oft fallen?
“Tatsächlich ist es so, dass viele meiner Sätze sich auf das Muttersein beziehen. Es sind nicht alle, aber viele. Das hat sich einfach so ergeben, weil das natürlich auch meine Lebenswelt ist. Wenn ich jetzt keine Kinder hätte, hätte ich vielleicht ein Buch mit einem anderen Fokus geschrieben. Gleichzeitig fallen viele dieser Sätze sehr oft. Ich mache auch immer mal wieder Umfragen auf Social Media und frage, welche Bullshit-Sätze ihr schon gehört habt oder was denkt ihr, welche Bullshit-Sätze werde ich in meinem Buch haben. Da gibt es viele Überschneidungen mit denen in meinem Buch. Ich glaube, dass die meisten Frauen sehr viele dieser Sätze zu hören kriegen. Mit diesen 25 Sätzen haben wir ja noch lange nicht alles angesprochen. Es gibt noch sehr viele andere Sphären und berufliche Kontexte, in denen Sätze gesagt werden, die aufgedeckt gehören und konfrontiert werden sollten. Mal sehen, wie viele davon es noch in meine Bücher oder Bücher von vielen anderen Frauen schaffen”