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Happy International Women’s Day – Umgang mit einer alljährlichen Farce.

  • Autorenbild: Rea Eldem
    Rea Eldem
  • 20. März
  • 4 Min. Lesezeit

Der Internationale Frauentag war wieder da, und ich fühlte mich ihm sehr fern. Während Unternehmen die sozialen Medien mit pinken Logos, Rabattcodes und hohlen Slogans überschwemmten, kämpfen Frauen und marginalisierte Menschen auf der ganzen Welt um ihre grundlegendsten Rechte. Frauen im Iran, in Afghanistan, im Sudan und an unzähligen anderen Orten leisten Widerstand gegen unterdrückerische Regime – oft um den Preis ihres Lebens. Palästinensische Frauen, die seit Jahrzehnten Besatzung, Vertreibung und systematische Gewalt erleiden, stecken mitten in einer humanitären Katastrophe, von der die Welt weitgehend wegsieht. In den sogenannten westlichen Demokratien verstärkt der politische Diskurs zunehmend rassistische und islamfeindliche Narrative, die Spaltung und Hass weiter befeuern und von den strukturellen Ungleichheiten ablenken, denen wir uns stellen müssen. Und hier in Deutschland feiern wir den Tag, indem wir Blumen verteilen.


Die Illusion des Fortschritts


Wer die letzten Wahlkampagnen in Deutschland verfolgt hat, könnte meinen, dass Geschlechtergerechtigkeit kein Thema mehr sei. Sicherheit und Migration dominierten die Debatten bis zu einem absurden Ausmaß und ließen kaum Platz für andere Themen. Wenn Geschlecht überhaupt Erwähnung fand, dann höchstens als Randnotiz in Diskussionen über Trumps anti-trans Hasskampagnen – von denen sich unser neu gewählter Kanzler nicht distanzierte. Ganz im Gegenteil: Wie sein amerikanischer Kollege scheint auch er ein großer Fan des binären Geschlechtersystems zu sein.


Doch Zahlen lügen nicht. Frauen in Deutschland verdienen weiterhin deutlich weniger als Männer. Sie sind in Führungspositionen unterrepräsentiert, tragen den größten Anteil an unbezahlter Care-Arbeit und sind einem höheren Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Statt Fortschritt haben wir in vielen Bereichen einen Rückschritt erlebt. Der ohnehin schon männerdominierte Bundestag ist nach der letzten Wahl noch männlicher geworden. Konservative und rechte Parteien, die offen gegen Gleichstellungsmaßnahmen sind, haben an Einfluss gewonnen. Ein kürzlicher Versuch, das Abtreibungsrecht zu reformieren – ein grundlegendes Element körperlicher Selbstbestimmung – wurde verhindert, nicht zuletzt durch genau jene Partei, die nun die Regierung anführt. Die CDU hat sich konsequent gegen jede ernsthafte Reform gestellt und dafür gesorgt, dass Abtreibung weiterhin im Strafgesetzbuch verankert bleibt. Die Botschaft ist klar: Die Rechte von Frauen sind verhandelbar, verzichtbar, immer wieder zur Debatte stehend.


Die Last, einen Unterschied machen zu wollen


Mit diesem Internationalen Frauentag spüre ich eine andere Art von Erschöpfung. Vielleicht ist es Aktivist*innen-Burnout, oder vielleicht ist es die langsame Erkenntnis, dass egal wie viel Energie wir in den Kampf für Gerechtigkeit stecken, der Backlash nur stärker wird. Seit acht Jahren setze ich mich für soziale Gerechtigkeit und Geschlechtergerechtigkeit ein, und dennoch fühlt es sich oft an, als wäre es nie genug. Wie könnte es das sein, wenn jeden Tag ein neuer, erschütternder Rückschlag kommt? In vielen Bereichen stehen wir schlechter da als zu der Zeit, als ich meine feministische Bildung begann.


Für einen Moment, nach #MeToo und den weltweiten feministischen Aufständen, schien es, als hätten wir eine Wende erreicht. Es gab Hoffnung, dass die Stimmen von Frauen endlich gehört wurden, dass Geschlechtergerechtigkeit zählte. Unternehmen und Institutionen schienen langsam zu begreifen, dass sie sich weiterbilden müssen. Das Zusammenspiel von Machtsystemen rundum Geschlecht, Rassismus und Klassismus wurde mehr thematisiert und es schien, als wäre es ein Konsens, dass die Berücksichtigung unterschiedlicher Lebensrealitäten in der Arbeitswelt eine gute Sache ist.


Aber wir wurden eines Besseren belehrt. Heute fühlt sich jeder Tag an wie ein neuer Albtraum: trans Menschen werden ihrer Rechte beraubt, Tech-Milliardäre verherrlichen „männliche Energie“, Sexualstraftäter kandidieren für öffentliche Ämter – und gewinnen. Sexismus, Homofeindlichheit, (Hetero-)Sexismus, Antisemitismus und Rassismus werden nicht mehr nur geflüstert – sie werden laut herausgeschrien, normalisiert, tief in den politischen Diskurs eingebettet, von Argentinien bis in die USA und wieder zurück nach Deutschland. Und während Unternehmen Frauen mit Blumen und Schokolade feiern, brennen diejenigen aus, die tatsächlich für Gerechtigkeit kämpfen: Graswurzelaktivist*innen, Community-Organisator*innen, feministische Wissenschaftler*innen. Es fühlt sich an wie ein Schlag ins Gesicht, diese PR-Maßnahmen zu beobachten, während ich sehe, wie Menschen in meiner eigenen Community mit Erschöpfung, tiefer Angst und Hoffnungslosigkeit kämpfen.


Rumschreien und Demonstrieren ist notwendig. Ruhe auch.


Und doch wird der Frauentag jedes Jahr zu einem glänzenden Spektakel gemacht. Unternehmen rufen uns zu: „Yes, she can!“, während so viele es tatsächlich nicht können. Nicht weil es ihnen an Ehrgeiz fehlt, sondern weil sie zu beschäftigt sind, zu überleben. Es ist leicht, Empowerment zu verkaufen, wenn die strukturellen Barrieren nie wirklich angegangen werden. All das bringt mich dazu, mehr denn je auf die Straße zu wollen. Aber ich will auch in mein Kissen schreien. Aber vor allem will ich mich daran erinnern – und alle anderen im Aktivismus auch –, dass wir ausbrennen, wenn wir nicht auf uns selbst achten.


Um meine Energie zu erhalten, nehme ich bewusst Abstand vom Diskurs. Distanzierung bedeutet für mich emotionale und physische Entfernung – in meinem Fall, Berlin zu verlassen, Deutschland zu verlassen, meine Online-Räume zu verlassen. Ich mache das nicht oft -aber regelmäßig.


Strategisch sein am und um den International Women’s Day


Mich von meinem gewohnten Umfeld zu trennen, erlaubt mir, mich auszuruhen – aber vor allem, mir einen Überblick zu verschaffen. Ich habe erkannt, dass genau das notwendig ist, um wirklich etwas zu bewirken und meine Werte in die Praxis umzusetzen. Ich weiß, dass diese Option nicht für alle da ist. Ein Privileg.


Der Wandel, den wir in der Welt bewirken wollen, ist eine zutiefst persönliche Angelegenheit. Ich habe für mich über die Jahre gelernt, wie wichtig es ist, stategisch zu sein. Abstand verhindert, dass ich mich in einem Hamsterrad aus Aktionismus verrenne, das mich glauben lässt, ich würde nie genug tun, und hilft mir stattdessen, mich auf das zu konzentrieren, was wirklich Wirkung zeigt.


Der International Women’s Day sollte ein Aufruf für einen radikalen SystemWechsel sein, kein Marketing-Event. Ein Tag, an dem wir konkrete Forderungen stellen, und Unternehmen und Politiker*innen zuhören. Ich will keine Blumen sondern Anerkennung dafür, wie weit der Weg noch ist.


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