Gender und Sprache – die meisten verbinden damit wohl Sternchen, Binnen-I, Doppelpunkt oder Unterstrich. Doch nicht nur inhaltlich lässt sich unser Sprechen gerechter gestalten. Unsere Sprache beugt sich vielen Regeln. Grammatik, Syntax und Semantik bilden die Basis unserer Kommunikation und werden uns im Grundschulalter beigebracht. Doch es gibt auch subtile, soziale Regeln, die unser Sprechverhalten prägen und doch meistens unsichtbar bleiben.
Das Sagen haben – unsere Sprechkultur ist gegendert
Die Art und Weise, wie wir reden, ist ansozialisiert. Von klein auf lernen wir, wie wir vor und mit anderen sprechen sollen, was angebracht ist, und was nicht. Dabei ist ein bestimmender Faktor unser soziales Geschlecht.
Unsere Sprechkultur ist nicht neutral, sie ist gegendert. Sei es in Filmen, im Privaten oder im Arbeitsumfeld: Das bedeutet, dass die Art und Weise, wie Frauen und Männer sprechen (und welches Sprechverhalten von ihnen erwartet wird), sich stark voneinander unterscheidet. Dieser Blogeintrag soll unsichtbare „Regeln“ des Sprechens in unserer Arbeitskultur aufdecken und Vorschläge für eine gerechtere Praxis geben.
Wer darf am Arbeitsplatz sprechen – und wie lange?
In Meetings, beim Geschäftsessen oder bei Konferenzen: Männer kommen öfter und länger zu Wort. Sie sprechen doppelt so häufig bei akademischen Kolloquien, wie Forschende der Princeton University (1) aufzeigten. Weibliche Sprecherinnen sind somit, relativ zum tatsächlichen Frauenanteil in den jeweiligen Fächern, unterrepräsentiert. Auch in anderen Settings ist der Redeanteil unausgeglichen: Bei Entscheidungsfindungsprozessen in Gruppen beträgt der Sprechanteil von Frauen meist weniger als 75 Prozent von der Redezeit ihrer männlichen Kollegen. Die Unausgeglichenheit verstärkt sich noch weiter, wenn Frauen den kleineren Teil der Gruppe bilden: ihr gesprochener Anteil sinkt dann proportional noch tiefer als der Anteil an anwesenden Frauen (2).
Wenn frau dann erst einmal spricht, stehen die Chancen gut, dass sie unterbrochen wird. Eine Studie zur Sprechkultur in formellen Meetings kam zu folgenden Ergebnissen: Männer unterbrechen ihre Kolleg:innen doppelt so häufig, wie Frauen das tun, wobei sie fast dreimal so oft weiblichen Kolleginnen ins Wort fallen, als anderen Männern. Aber auch Frauen unterbrechen: Frauen lassen überwiegend andere Frauen nicht ausreden, während sie männliche Kollegen weit weniger oft unterbrechen (3). Kurz gesagt: Frauen werden gerne von allen unterbrochen, Männer tun dies besonders häufig und mit einer Vorliebe für Kolleginnen. Diese gegenderte Sprechpraktik hat einen popkulturellen Namen: Manterrupting.
Sprechen gegen die Zeit: Strategien um zu Wort zu kommen
Diese Umstände hinterlassen Spuren im Sprechverhalten vieler Frauen am Arbeitsplatz. Auf die Gefahr hin, jeden Moment unterbrochen zu werden, sprechen Frauen durchschnittlich schneller. Außerdem organisieren sie häufig ihre Argumente im Vorhinein, um die ihnen zugängliche Zeit möglichst effizient zu nutzen. Inhaltlich eher spärliche Monologe, die mit unbehelligter Selbstverständlichkeit vorgetragen werden, gehören meist nicht zum Repertoire.
Sprechen ist Gold: Sprechanteil als Statussymbol
Doch warum ist unser Sprechverhalten so unterschiedlich? Das hat auch mit Macht zu tun: Die Sprechzeit, die uns gewährt wird, reflektiert unseren Status. Und dieser wird, unabhängig von der eigentlichen beruflichen Rolle, entschieden im Zusammenhang mit der Genderidentität zu- oder abgeschrieben.
Die oben genannten Beispiele für gegenderte Sprechkultur – geringere Sprechzeit und -anteil sowie überproportional häufiges Unterbrochen-werden – gehören zu den Erfahrungen, die auch Frauen in leitenden Positionen machen. Bei gleichem beruflichen Status bleibt die Sprachpraxis ungleich. Während Männer proportional zu ihrem steigenden beruflichen Einflussvermögen mehr sprechen, bleibt der Redeanteil von Frauen auch in Machtpositionen relativ unverändert (4).
Das Zünglein an der Waage ist also das soziale Geschlecht. Einen Platz am Tisch im Vorstand oder Aufsichtsrat zu haben, bedeutet nicht automatisch, eine Stimme zu haben. Doch wenn frau schonmal hier ist, warum nicht einfach das Wort ergreifen, wie die männlichen Kollegen?
Frauen können sich nicht "einfach" eine männliche Sprechpraxis aneigenen.
Wenn eine Frau sich die gleiche Zeit nimmt, um zu sprechen, wie ein Mann in der gleichen Position, wird ihr Verhalten anders bewertet. Was die Sprechkultur angeht, besteht, wie so häufig, ein Doppelstandard. So bewerteten die Teilnehmer:innen einer Yale-Studie eine weibliche CEO, die mehr als andere CEOs spricht, als deutlich weniger kompetent und weniger geeignet für eine Führungsposition als einen männlichen CEO mit derselben Sprechzeit. Dabei war das Geschlecht der bewertenden Person nicht ausschlaggeben – alle Versuchsteilnehmer:innen hatten einen Gender Bias gegenüber den weiblichen CEOs (4).
Würden Frauen anfangen, sich eine „männliche“ Rhetorik anzueignen, wäre das demnach zu ihrem Nachteil. Sie werden laut der Studie als „forsch“ oder gar „aggressiv“ wahrgenommen – ihre Kompetenz wird ihnen abgesprochen.
Sprechkultur als Teil der Arbeitskultur denken
Kultur ist nichts Festgeschriebenes, sie verändert sich fortlaufend. Dabei sind es wir selbst, die immer wieder neue soziale Normen aushandeln und alte Ideen gehen lassen. Statt einer Sprechkultur, in denen es Männern vorbehalten ist, Monologe zu schwingen und zu unterbrechen, können wir Sprechpraktiken kultivieren, die nicht auf Kosten anderer laufen.
Dafür ist es notwendig, einen Schritt zurück zu treten, um Muster zu erkennen und das eigene Verhalten kritisch zu reflektieren. Ein Bewusstsein für die vorherrschende (potentiell ungleiche) Sprechkultur ist die Basis für Veränderung. Im nächsten Schritt hilft es auch, Kolleg:innen, Freund:innen und Familienmitglieder auf ihr Verhalten aufmerksam zu machen, wenn sie etwa ständig anderen Leuten ins Wort fallen. Umgekehrt kann man auch diejenigen, die sonst wenig Raum einnehmen, positiv bestärken, ihnen ernsthaft zuhören und die Wertschätzung für deren Wortbeiträge deutlich machen.
Das Sprechen auch nach Corona zum Thema machen
Die Sprechkultur bei vielen unserer Kund:innen veränderte sich seit Beginn der Pandemie mit der Verlagerung in digitale Räume. Dort entwickelten sich teilweise neue Sprechpraktiken, beispielsweise in moderierten Zoom-Meetings. Plötzlich wurde es selbstverständlich, eine klare Kommunikation darüber zu führen, wer sich wann gemeldet hat, und in welcher Reihenfolge gesprochen wird. Neben den vielen Herausforderungen, die mit der Digitalisierung von Team-Meetings sonst einhergingen, wurde die Sprechkultur in vielen Fällen durch diese Diskurse egalitärer.
Im digitalen Raum konnte sich eine klare und potentiell fairere Etiquette normalisieren. Vielleicht gelingt es uns, die dort etablierten Codes mit in den Post-Corona-Alltag zu nehmen? Einen Versuch wäre es wert, schließlich ist es an der Zeit für eine Sprechkultur, in der alle eine Stimme haben. Online und Offline.
Quellen:
(1) Nittrouer/Hebl/Ashburn-Nardo/Trump-Steele/Lane/Valian, 2017: Gender disparities in colloquium speakers at top universities. Princeton University.
(2) Karpowitz/Mendelberg /Shaker, 2012: Gender Inequality in Deliberative Participation. Cambridge University Press.
(3) Snyder, Kieran, 2014: How to Get Ahead as a Woman in Tech: Interrupt Men. Language Log.
(4) Brescoll, Victoria, 2011: Who Takes the Floor and Why Gender, Power, and Volubility in Organizations. Yale School of Management.