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Gendergerechtigkeit am Arbeitsplatz: Was Führungskräfte vom Schach lernen können

Wirtschaft wird gerne mal mit Schach verglichen: Risiken kalkulieren, Strategien entwickeln, taktisch kluge Züge machen, die Parallelen sind offensichtlich. Genau wie die Wirtschaft hat auch Schach einen deutlichen Aufholbedarf, was Geschlechtergerechtigkeit angeht. Seien es sexistische Stereotype, mangelnde Sichtbarkeit und Förderung von Frauen, oder auch der sogenannte Stereotype Threat - in der Schachwelt zeigen sich deutlich die Muster, die auch in vielen Unternehmen noch vorherrschen. Ein “bad practice” Beispiel, sozusagen, aus dem Diversity Manager*innen und Führungskräfte lernen können, was sie in Sachen Gleichstellung nicht tun sollten. Was dahintersteckt und wie Frauen nicht nur in der Schachwelt gleiche Chancen bekommen können, erklärt Emil Kobel in diesem Gastbeitrag.


Geschlechterunterschiede im Schach – Wie Genderstereotype die Leistung von Frauen beeinflussen


Im Jahr 1989 erklärte der Schachweltmeister Garry Kasparov in einem Playboy-Interview, dass Schach nicht wirklich zu Frauen passen würde. Sie seien hilflos im Angesicht eines Mannes und schwächere Kämpfer (Interview Playboy, 1989). Diese Aussage spiegelt nicht nur die herrschenden Ansichten seiner Zeit wider, sondern verfestigt ein tief verwurzeltes

internalisiertes Geschlechterstereotyp, das Frauen bis heute begleitet.


Fast 35 Jahre später hat sich vieles geändert – und doch bestehen diese Vorurteile weiterhin. Während Frauen wie Judith Polgár gezeigt haben, dass sie in der Lage sind, sich auf dem höchsten Niveau mit den besten männlichen Schachspielern zu messen, bleibt die Schachwelt von Geschlechterstereotypen geprägt. Warum ist es so schwierig, diese Barrieren zu überwinden?


Schach ist ein Spiel, das Intelligenz, Strategie und Geduld erfordert und nicht auf körperlichen Gegebenheiten basiert. Dennoch gibt es seit Jahrzehnten ein auffälliges Ungleichgewicht. Im Jahr 2024 hat der Deutsche Schachbund 94.811 Mitglieder. Davon sind nur knapp 9,5% weiblich. Vor 30 Jahren waren es bei ähnlicher Mitgliederzahl sogar nur knapp 5% (Deutscher Schachbund, 2024). Somit hat sich die Anzahl von Schachspielerinnen seitdem fast verdoppelt, allerdings sind immer noch nicht mal ein Zehntel der Schachspieler in Deutschland weiblich. Dies wirft eine Frage auf, warum gibt es solch einen extremen quantitativen Unterschied zwischen Frauen und Männern im Schach?


Historische und gesellschaftliche Einflüsse – Die Rolle der FIDE


Historisch wurde Schach als männliche Domäne betrachtet. Ein Bereich, in dem Frauen nicht mithalten könnten, weil es ein Spiel der rationalen, logischen und strategischen Fähigkeiten ist - Eigenschaften, die traditionell mit Männlichkeit assoziiert wurden. Solche Annahmen führten dazu, dass Frauen weniger gefördert und ernst genommen wurden.

Eine wichtige Rolle spielt dabei der internationale Schachverband FIDE. Dieser hat

Frauenschach in seiner Geschichte schon immer stark diskriminiert, sei es durch Festlegung

von Preisgeldern, öffentliche Berichterstattung oder Aussagen über die weiblichen

Fähigkeiten. Hochrangige FIDE-Beschäftigte selbst sagten öffentlich, Mädchen würden sich eben von Natur aus mehr für Blumenarrangements interessieren und Mädchen hätten einfach nicht die Gehirne fürs Schach (Flores, 2024). Wenn dieses Bild von der größten Schachorganisation selbst vermittelt wird, dann ist klar, dass sich Frauen in der Schachwelt nicht wohlfühlen können.


Die FIDE vergibt Titel für das Erreichen einer bestimmten Spielstärke. Die Stärke eines Spielers wird gemessen an einer objektiven Wertzahl, der Elo. Es gibt einen Großmeistertitel (GM) ab 2500 Elo und einen Großmeistertitel nur für Frauen (WGM) ab 2300 Elo. Dazwischen liegt also ein Unterschied von 200 Elo-Punkten. Bereits bei Meisterschaften im Jugendbereich wird schon unterschieden in Frauen- und Männerwertung. Somit wird bereits im Jugendalter eine Trennung von Frauen und Männern im Schach vermittelt.


Wie Genderstereotype die Leistung und das Verhalten beeinflussen


Ein zentraler psychologischer Mechanismus, der die Leistung von Frauen im Schach

beeinflussen kann, ist das Phänomen des Stereotype Threat. Dabei handelt es sich um die

Angst oder Sorge, ein negatives Vorurteil über die eigene soziale Gruppe zu bestätigen, was zu einer Verschlechterung der tatsächlichen Leistung führt. Eine wegweisende Studie von Maass et al. (2007) untersuchte genau diesen Effekt im Schach. Das Experiment wurde online durchgeführt, da somit das Geschlecht unbekannt bleiben kann. Die Ergebnisse zeigten deutlich, dass Frauen schlechter spielten, wenn sie wussten, dass sie gegen einen Mann spielen. Ihre Leistung blieb dagegen stabil, wenn sie glaubten, gegen eine Frau zu spielen – selbst wenn es tatsächlich ein Mann war. Eine weitere interessante Facette der Geschlechterunterschiede im Schach ist das Risikoverhalten. Eine Studie von Gerdes und Gränsmark (2010), die über 1,4 Millionen Schachpartien analysierte, fand heraus, dass Frauen im Durchschnitt risikoaverser sind als Männer. Bemerkenswert ist, dass Männer häufig aggressiver spielen, wenn sie gegen eine Frau antreten. Dies deutet darauf hin, dass Männer Frauen möglicherweise unterschätzen und glauben, riskantere Züge machen zu können, ohne große Konsequenzen zu befürchten. Diese Verzerrung im Verhalten könnte auf Stereotype zurückzuführen sein, die Männer zu der Annahme verleiten, dass sie einen Vorteil gegenüber Frauen haben.


Weibliche Vorbilder: Das Phänomen der Top-Girls


Ein herausragendes Beispiel eines sogenannten Top-Girls im Schach ist Judith Polgár. Sie gilt als eines der größten Schachtalente aller Zeiten, brach als Frau alle Konventionen und spielte regelmäßig auf höchstem Niveau gegen die besten männlichen Spieler der Welt. Ihre

Geschichte steht im direkten Zusammenhang mit dem Konzept der Top-Girls: Frauen, die durch außergewöhnliche individuelle Leistungen hervorstechen, oft jedoch in einem System agieren, das weiterhin von patriarchalen Strukturen geprägt ist (McRobbie, 2010). Wie von McRobbie dargelegt, sind solche Frauen häufig gezwungen, sich an die Regeln des Systems anzupassen, anstatt es grundlegend zu verändern. Judith Polgár selbst sah sich zwar als Teil der männlich dominierten Schachwelt, nutzte jedoch ihre Fähigkeiten, um das Stereotyp zu widerlegen, dass Frauen weniger erfolgreich im Schach sein könnten. Ihre Erfolge haben jedoch nicht automatisch zu einer besseren Gleichberechtigung im Schach geführt, was zeigt, dass auch die herausragendsten Top-Girls das System allein nur bedingt verändern können. Vielmehr ist eine umfassendere Auseinandersetzung mit Genderstereotypen nötig, um dauerhafte Veränderungen zu bewirken.


Bad practice Schachwelt: Führungskräfte können für Gendergerechtigkeit am Arbeitsplatz einiges lernen
Bad practice Schachwelt: Führungskräfte können für Gendergerechtigkeit am Arbeitsplatz einiges lernen

Was sich ändern muss!


Um die Geschlechterunterschiede im Schach zu überwinden, reicht es nicht aus, Frauen nur die gleichen Zugangsmöglichkeiten zu bieten. Es ist auch notwendig, die tief verwurzelten

Genderstereotype zu hinterfragen und abzubauen. Dies beginnt bereits bei der Förderung

junger Spielerinnen, die ermutigt werden sollten, ihre Fähigkeiten in gemischten Turnieren zu testen und sich nicht von gesellschaftlichen Erwartungen zurückhalten zu lassen.

Darüber hinaus ist es wichtig, weibliche Vorbilder wie Judith Polgár sichtbarer zu machen, um das Selbstvertrauen junger Frauen zu stärken und zu zeigen, dass es möglich ist, auf höchstem Niveau erfolgreich zu sein. Auch das Bewusstsein für die Auswirkungen von Stereotype Threat und Risikoverhalten muss sowohl bei Spielerinnen als auch bei Trainern geschärft werden, damit Frauen gesellschaftliche Barrieren überwinden können.


Es ist an der Zeit, Schach als einen neuen Raum zu definieren, in dem Männer und Frauen

gleichermaßen gefördert und respektiert werden, damit beide Geschlechter ihr Potenzial voll entfalten können. 


Zug um Zug zu mehr Gendergerechtigkeit am Arbeitsplatz


Diese Erkenntnisse lassen sich genauso auf die Arbeitswelt übertragen. Auch dort zeigt sich immer wieder: Geschlechterstereotype sind tief verwurzelt und werden häufig nicht hinterfragt. Gendergerechtigkeit am Arbeitsplatz beginnt damit, sie abzubauen, auf allen Ebenen. Führungskräfte können dabei mit gutem Beispiel vorangehen und nicht nur ihre eigenen Vorannahmen regelmäßig hinterfragen und sich und ihre Teams zu Gendergerechtigkeit sensibilisieren, sondern Frauen bewusst fördern. Das kann ganz direkt sein, z.B. durch Mentoring, oder auch, indem erfolgreiche Frauen beispielsweise als Speakerinnen gebucht und sichtbar gemacht werden. So wird der Arbeitsplatz mit jedem Zug in der Diversity-Strategie ein bisschen inklusiver.


 

Dieser Text ist im Seminar „Diversity im Lern- und Arbeitsumfeld“ entstanden, welches Rea Eldem, Gründerin und Geschäftsführerin von IN-VISIBLE am Hasso-Plattner-Institut leitet. Der Autor Emil Kobel ist Student des Studiengangs IT-Systems Engineering und hat sich im Rahmen des Seminars mit den Geschlechterverhältnissen im Schach auseinandergesetzt.


Quellen


• Blair, L.; Playboy (1989). Interview with Kasparov published in the November 1989

issue of Playboy (S. 61-73). -> Winter, E. (2024). “Kasparov Interviews”

hat%201989%20Playboy%20interview (Abgerufen am 29.09.2024)


• Deutscher Schachbund (2024). Mitgliederentwicklung im DSB. Statistik.


• Flores, T. (2024). „Geschlechterunterschiede im Schach: Warum Männer erfolgreicher

(Abgerufen am 28.09.2024)


• Maass, A.; D’Egole, C.; Cadinu, M. (2007). „Checkmate? The role of gender stereotypes in the ultimate intellectual sport”. Wiley. https://doi.org/10.1002/ejsp.440


• Gerdes, C.; Gränsmark, P. (2010). “Strategic behavior across gender: A comparison of

female and male expert chess players”. Labour Economics (S. 766-775). ScienceDirect.


• McRobbie, A. (2010). Top Girls: Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen

Geschlechterregimes, in: Hark, Sabine [Hrsg.]; Villa, Paula-Irene [Hrsg.], Geschlecht &

Gesellschaft, Band 44, Wiesbaden 2010, S.17-221


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