Meet Mariel Sousa. Sie hat International Affairs an der Hertie School in Berlin studiert und hat sich dabei auf Policy Innovation und Digitalisierung im öffentlichen Sektor fokussiert. Das Studium führte sie zu ihrer jetzigen Stelle beim unabhängigen Think Tank iRights.Lab, bei dem sie seit März 2020 arbeitet. Das iRights.Lab unterstützt insbesondere den öffentlichen Sektor bei Digitalisierungs- Vorhaben. Die Mitarbeiter:innen des iRights.Lab entwickeln Digitalisierungsstrategien, schreiben Analysen und setzen Projekte für Bundes- und Landeseinrichtungen um. Dabei liegt der Fokus auf der Verbraucher:innenperspektive: Alle Menschen sollen von der Digitalisierung profitieren können.
Move Mobility ist eines der Projekte, an dem Mariel beim iRights.Lab mitarbeitet. Es stellt die Begleitforschung für den mFUND, ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm des Ministeriums für Digitales und Verkehr, das über 300 datengetriebene Mobilitätsprojekte fördert. Mit Move Mobility vernetzt das iRights.Lab diese Projekte untereinander und mit anderen Expert:innen, damit Synergieeffekte entstehen können. Zu den Aktivitäten gehört die digitale Plattform „Emmett“, die über Innovationen berichtet, Informationen rund um die datengetriebene Mobilität in Artikeln und in einem Podcast aufbereitet und Akteur:innen zusammenbringt. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welche Rolle Daten in der Mobilität spielen. Beispielsweise, wenn es um neue und bessere Radverkehrswege geht, um steuerbare Grünphasen bei Straßenverkehrsampeln oder darum, ein Taxi per zu App buchen – stets bilden Daten hierfür die Grundlage.
Was für eine Rolle spielt Gender in der Mobilität- und Verkehrsplanungsbranche?
„In meinem Arbeitsbereich untersuche ich insbesondere die Verteilung von Frauen und Männern in der Mobilität- und Verkehrsplanungsbranche. Deshalb werde ich hier zum Thema Diversität nur über den Unterschied zwischen Frauen und Männern sprechen. Kurz gesagt: Diese Branche ist dies bezogen alles andere als divers. Ein Beispiel: Wenn wir Sprecher:innen für Veranstaltungen oder Workshops für die Begleitforschung suchen, ist die Rücklaufquote von Männern viel höher als die von Frauen. Auch in den Fällen, in denen wir explizit Frauen angesprochen haben, wurden wir sehr oft an die männlichen Kollegen weitergeleitet. Wir haben teilweise sehr große Schwierigkeiten, weibliche Sprecher:innen für bestimmte Bereiche zu finden – insbesondere den Flugverkehr oder die Schifffahrt. Das ist zum Teil auch wissenschaftlich belegt: Eine Studie besagt, dass weltweit nur 1,2 Prozent der Personen, die im Bereich Seefahrt arbeiten, Frauen sind. Das macht es natürlich unglaublich schwer, eine Frau als Sprecherin zu engagieren.“
Warum ist das ein Problem?
„Das ist problematisch, denn es fehlt dann einfach die nicht-männliche Perspektive. Wir müssen Frauen im Bereich Mobilität stärker unterstützen, sie vernetzen, ihnen mehr Sichtbarkeit und eine Plattform bieten. Auch in unserer Arbeit ist das sehr wichtig. Deswegen haben wir auch ein Netzwerk speziell für Frauen aus dem Förderprogramm gegründet, es nennt sich Women for Datadriven Mobility.
Ein anderer wichtiger Punkt ist die Abwesenheit von Frauen im Bereich der Daten. Ich spreche von der sogenannten Gender Data Gap: In der Mobilitätsplanung wird meist ein bestimmter Typus als Persona verwendet, für die Mobilität geplant und gemacht wird. Das ist dann in der Regel keine weibliche Person – sondern eher ein hetero cis-Mann und seine Bewegungsmuster.“
Was für einen Vorteil hätte es, wenn mehr Genderdiversität in der Mobilitätsbranche bestehen würde?
„Die fehlende Genderdiversität ist ein strukturelles Problem und muss systematisch angegangen werden. Je mehr Transparenz und Bewusstsein dafür entsteht, wie vielfältig die Nutzer:innen von Mobilitätsangeboten sind, desto eher wird in dieser männerdominierten Branche eine Veränderung stattfinden können. Bis dahin gilt: ‘You can’t be what you can’t see’. Wir brauchen Frauen, die sich zeigen, Vorbildrollen einnehmen und so andere Frauen motivieren und begeistern, ihre Perspektiven zu teilen. In männerdominierten Branchen muss ein Bewusstsein dafür entstehen, dass Menschen unterschiedliche Bedarfe und Ansprüche haben. Dies gilt übrigens nicht nur für Frauen in der Mobilitätsbranche, sondern beispielsweise auch für Menschen mit Behinderungen, die bei der Verkehrsplanung ebenso oft zu wenig bedacht werden.“
Wie würde sich mehr Transparenz und Bewusstsein bemerkbar machen?
„Wenn es mehr Genderdiversität und auch mehr soziale Inklusion in der Mobilitätsbranche geben würde, könnten viel mehr Menschen die Mobilitätsangebote nutzen und wären mit ihnen zufrieden, weil sie ihren Bedarfen auch entsprächen. Am Ende profitieren nicht nur Frauen von einer gendergerechten Mobilität, sondern die gesamte Gesellschaft: Durch höhere Sicherheitsstandards, energieeffiziente und vernetze Angebote oder eine bessere Nutzung des öffentlichen Raums beispielsweise mit weniger Parkplätzen und mehr Grünflächen.“
Was braucht es für eine gendergerechte Mobilität?
„Hier müssen wir verschiedene Dimensionen betrachten: Auf der einen Seite ist Repräsentation in der Umsetzung von Mobilität entscheidend. Auf der anderen Seite ist aber auch relevant, dass Frauen sich auch angesprochen fühlen, Mobilität mitzugestalten. Sie sollen nicht nur bei der Ausführung und in der Ideenschöpfung mitmachen, sondern darüber hinaus auch auf einer individuellen Ebene angesprochen werden. Generell gilt, dass die Vielfalt der Gesellschaft auch im öffentlichen Bild gesehen werden muss und das gilt vor allem auch für eine Branche, die gesellschaftlich so relevant ist.“
Oft sind Städte für Autos und weniger für Fußgänger:innen und Fahrradfahrer:innen gemacht. Und Autos sind vor allem auf Männer zugelassen. Dadurch könnten Menschen denken, dass eine autozentrierte Stadt auch in ihrem Interesse ist. Stimmt das und wenn nein, was könnte die Politik gegen diesen Teufelskreis tun?
„Klar ist, dass wenn Menschen, die in der Autoindustrie eine Führungsposition haben und die Autos besitzen, Männer sind, diese auch als prototypischer Nutzer einer Stadt mit Auto stehen. In unserem Artikel „Gendergerechtes Fahren” aus der Emmett-Redaktion zeigen wir auf, dass Frauen sich ganz anders fortbewegen als Männer: Frauen sind klimabewusster und multimodaler unterwegs – also mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln und auf unterschiedlichen Wegen. In unserem Podcast zum Thema „Umwidmung des öffentlichen Raums“ beschäftigen wir uns mit folgenden Fragen: Wie nutzen wir die freie Fläche? Wem gehört die freie Fläche? Gehört sie dem:der Autofahrer:in? Auch dort bemerkt man immer wieder Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Bei der Mobilitätsplanung wie auch bei der Stadtplanung gibt es bis jetzt ein autozentriertes Konzept, das insbesondere dem Mobilitätsverhalten von Männern entspricht. Das muss noch stärker ins Bewusstsein rücken und die Vorteile von weiblichem Mobilitätsverhalten aufgezeigt werden, um Veränderungen anzustoßen.”
Danke Mariel!
Wer mehr zum Thema Gender und der Mobilitätsbranche erfahren möchte, dem empfehlen wir die Studie „An alle gedacht?! Frauen, Gender, Mobilität - Wie kommen wir aus der Debatte in die Umsetzung?” von Bersch und Osswald: https://www.ivp.tu-berlin.de/fileadmin/fg93/Dokumente/Discussion_Paper/DP19_BerschOsswald.pdf
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Das iRights Lab organisiert das Frauennetzwerk ‘Women for Datadriven Mobility’ (WDM), in dem sich Expertinnen im Bereich Daten und Mobilität vernetzen und austauschen.
Mehr Informationen zum Thema gendergerechte Mobilität gibt es auf Emmett, dem Vernetzungsportal von Move Mobility – im Artikel oder im Podcast: https://emmett.io/article/podcast-gender-data-gap
https://emmett.io/article/tinngo-gender-diversitaet-und-mobilitaet