top of page
AutorenbildAmelie Bauer

GENDER-BIAS: EIN SEXISTISCHER DENKFEHLER

Oft hören wir bei unserer Arbeit: "Das Geschlecht einer:es Kandidat:in, der:die sich auf eine freie Stelle bewirbt, spielt bei der Entscheidung keine Rolle. Früher, da war das vielleicht noch so – aber diese Zeiten sind vorbei". – Aber stimmt das wirklich?


Nicht ganz. Natürlich wäre es (heute) absurd, einer Person mit der Begründung, sie sei beispielsweise „als Frau*“ weniger geeignet, den Job zu verwehren. Das Gleichbehandlungsgesetz schützt vor solch explizitem Sexismus. Aber unsere Wahrnehmung und auf Basis dieser getroffenen Entscheidungen sind deshalb noch lange nicht „neutral“. Eine lange Tradition formaler und sozialer Ungleichbehandlung ist bis heute in unserem Denken in Form verschiedener Bias verankert. Unter ihnen: das Gender-Bias. Dieser Blogeintrag erklärt, was das Gender-Bias ist und stellt einige seiner Formen vor.


Sexistischer Denkfehler? Gender-Bias und seine Formen


Das Wort Bias wird in vielen Kontexten benutzt und beschreibt verschiedene Verzerrungseffekte: In Datensätzen, Berechnungen, Wahrnehmung und Denken. In der Statistik ist ein Bias ein systematischer Fehler, der potenziell eine verzerrende Auswirkung auf die gesamte Datenerhebung hat. Es gibt auch Verzerrungen, die in unsere Art zu Denken einprogrammiert zu sein scheinen: sogenannte kognitive Bias. So neigen wir dazu, wenn wir eine Entscheidung treffen, der ersten Information, die uns erreicht, mehr Gewicht zu geben als nachfolgenden Informationen. Dieser Ankereffekt (1) wird oft in der Werbung genutzt: Ein Produkt wird mit zwei Preisen versehen, dem angeblich ursprünglichen Preis – nun durchgestrichen – und dem vermeintlich reduzierten Preis. Unabhängig davon, wie viel das Produkt wert ist, oder ob eine Reduzierung stattgefunden hat, meinen wir, ein Schnäppchen zu landen (2).


Andere Bias sind ansozialisiert und wachsen aus gesellschaftlichen Strukturen. Häufig sind wir, meist ohne es zu merken, von sexistischen, rassistischen oder klassistischen Narrativen beeinflusst; die Liste lässt sich weiterführen. So sind unsere Wahrnehmung, die Entscheidungen, die wir treffen und Urteile, die wir fällen, verzerrt. Im Fall des Gender-Bias handelt es sich, wie der Name sagt, um einen geschlechterspezifischen Verzerrungseffekt (3). Ähnlich einem kleinen Fehler am Anfang einer mathematischen Rechnung, verzerrt der Gender Bias alles, was folgt. Eine Art angelernter, sexistischer Denkfehler.


Wer ist die Norm? Formen des Gender-Bias


Ursprünglich wurde der Begriff Gender-Bias im Kontext medizinischer Forschung formuliert. Mit dem Begriff umschrieben Forscher:innen ihre Beobachtungen und Studien, die erfassten, inwiefern, unbewusste Denkmuster der Forschenden deren Fragestellung, Auswahl der Forschungsobjekte, Auswertung und schließlich Ergebnisse verzerren. Hierzu waren im deutschen Kontext die Soziologinnen Eichler, Fuchs, und Maschewsky-Schneider besonders einflussreich und haben drei Formen (3) des Gender-Bias identifiziert, die auch über die Medizin hinaus hilfreich sein können, um Gender-Bias in ihren unterschiedlichen Facetten zu erkennen. Ein kurzer Überblick:


Gender-Bias 1: Androzentrismus


Androzentrismus stellt Männer* ins Zentrum und behandelt ihre Perspektiven, Bedürfnisse und Probleme als „neutrale“ Norm. So wird in der Forschung oft anhand von männlichen* Untersuchungsgruppen gewonnene Erkenntnisse auf Frauen* übertragen, und das, obwohl, wäre die Testgruppe heterogener oder weiblich* gewesen, potentiell ein anderes Ergebnis erzielt worden wäre. Hier findet eine Übergeneralisierung statt, denn männliche* Körper, Erfahrungen und Perspektiven sind eben nicht neutral, sondern: männlich*.


Gender-Bias 2: Geschlechterinsensibilität


Geschlechterinsensibilität führt als Bias dazu, dass das biologische oder soziale Geschlecht nicht mitgedacht bzw. ignoriert wird. Dieses Phänomen wird auch als „Geschlechterblindheit“ bezeichnet. Dieser Bias verblendet die Tatsache, dass sich gleiche Umstände unterschiedlich auf die Lebensrealitäten von Menschen auswirken, beispielsweise was Fragen von Vereinbarkeit von Beruf für Mütter* und Väter* betrifft. Ansozialisierte Rollenbilder, gesellschaftliche Erwartungshaltungen und strukturelle Begebenheiten am Arbeitsplatz spielen dabei eine Rolle.


Gender-Bias 3: Doppelter Bewertungsstandard


Gleiche Situationen, Verhaltensweisen oder Eigenschaften werden, je nach Geschlecht, unterschiedlich bewertet. Solche Doppelstandards gibt es häufig und in allen Lebensbereichen. Wie wir in unserem Blogeintrag über Sprechkultur erklären, wird auch beim Sprechen mit doppeltem Maß gemessen: Wenn weibliche* CEOs gleich lange sprechen oder gleiche Rhetorik verwenden wie ihre männlichen* Kollegen, werden sie als zu forsch oder inkompetent bewertet. Gleiches (Sprech-)Verhalten gilt hier als angemessen für den männlichen* Boss, wird aber als „bossy“ bewertet bei der weiblichen* CEO.


Biased Working Culture - keine neutrale Arbeitskultur


Der Begriff Gender-Bias entstand zwar in Bezug auf Zustände in der wissenschaftlichen Forschung, betrifft und prägt aber auch unseren Alltag. So auch im Beruf. Seit den 70er Jahren gibt es einen stetig wachsenden Forschungsapparat zu Bias in der Arbeitskultur, der das Phänomen länder- und branchenübergreifend behandelt. Es gibt zahlreiche Studien zu Gender-Bias bei der Auswahl von Kandidat:innen, die sich auf freie Stellen bewerben (4)(5). Dabei wurden identische Bewerbungsunterlagen auf eine Stelle in der Veterinärmedizin mit männlichen*oder weiblichen* Namen versehen, hier Mark und Elizabeth (4). Die Mehrheit der Teilnehmer:innen, unabhängig von ihrer Geschlechteridentität, schätzten „Mark“ kompetenter ein als „Elizabeth“, trauten ihm eine vielversprechendere Karriere zu als ihr, und setzten sein Gehalt um im Schnitt 8 Prozent höher an als ihres (4). Und das alles bei inhaltlich, mit Ausnahme des Namen, völlig identischen Lebensläufen.


Diese Studie ist kein Einzelfall: Ähnliches wurde bei einer weiteren Untersuchung festgestellt, anhand fiktiver Bewerbungen auf eine Managementposition im Labor an verschiedenen naturwissenschaftlichen Fakultäten. Auch hier bewerteten die Testpersonen, unabhängig von der eigenen Geschlechteridentität, den männlich* markierten Bewerber als signifikant kompetenter, „einstellbarer“ und wären bereit, ihm* ein höheres Gehalt zu zahlen sowie Mentoring zu ermöglichen (5).


Alles eine Frage des Bewusstseins?


Das tückische dabei: Bei einer der oben genannten Studien wurden die Teilnehmer:innen vorher zu ihrer Einschätzung der Chancengleichheit in der Arbeitswelt befragt. Hauptverantwortlich für das Lohngefälle waren dabei diejenigen, die der Ansicht waren, in ihrer Branche gäbe es keine Ungleichheit mehr. Diejenigen, die bereits ein Bewusstsein für genderspezifische Ungleichbehandlung hatten, bewerteten fairer (4). Das Problem nicht sehen zu wollen ist, wie so oft, Ursache und Katalysator der Ungleichheit.


Betroffenheit bringt keine Immunität: Bias gegen sich „selbst“?


Wie die genannten Studien zeigen, war die Geschlechteridentität der bewertenden Person nicht ausschlaggebend; verschiedene Formen von Gender-Bias können bei allen gleich stark ausgeprägt sein (5). Bei unserer Sozialisation sind wir alle gewissen Strukturen, Narrativen und Stereotypen ausgesetzt, die unser Denken prägen. Dabei können wir sehr wohl unter Einfluss eines Bias stehen, das eine soziale Gruppe betrifft, zu der wir selbst gehören. Diese Prägung erfahren wir bereits sehr früh: In Studien wurde festgestellt, dass bereits sechsjährige Mädchen* weniger geneigt sind zu glauben, dass Mädchen „sehr klug“ seien können und anfangen, Tätigkeiten für „kluge“ Kinder zu meiden (6).


Ein tiefsitzendes, strukturelles Problem


Gender-Bias speisen sich aus bestehen Strukturen, werden uns angelernt, und verstärken so weiter Ungleichheiten. Ungleiche Arbeitsteilung und unbezahlte Reproduktionsarbeit belasten Frauen* zusätzlich. Auch die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt sind vom Bias geprägt, was deutlich wird am sogenannten Gender-Pay-Gap und den unausgeglichenen Geschlechterverhältnissen, vor allem in der Führungsetage. Lebensläufe von Frauen*, die viel Zeit mit Pflege von Angehörigen oder Kindererziehung verbringen (gemäß der sozial-zugeschriebenen Rolle), gelten, gemessen am männlichen* Standard, als „lückenhaft“. Gleichzeitig kommen Männer*, die lange in Elternzeit wollen, oft in Rechtfertigungszwang.


Augen auf! Wo ist mein Denken biased?


Wie beschrieben sind Gender-Bias ein strukturelles Problem, das sich nicht nur auf einer persönlichen, interpersonellen Ebene bekämpfen lässt. Es liegt auch in der Hand von Unternehmen, die eigene Arbeitskultur kritisch zu hinterfragen und Veränderungen anzustoßen. Veränderungen können so durch die institutionelle Ebene bis zur Auseinandersetzung mit den persönlichen Glaubenssätzen laufen. Hinter jeder Organisation stecken Menschen. Und deren Entscheidungen haben einen Einfluss, egal ob es um die Beurteilung von Mitarbeiter:innen, um das Aufsetzen neuer Strukturen oder um das Vorantreiben bestimmter Veränderungen geht. Menschen, die für Gender-Bias und entsprechende Auswirkungen sensibilisiert sind, können proaktiv daran arbeiten. Sich gegenseitig erinnern, erahnen, hinterfragen. Denn: wer das Problem nicht sieht, wird Teil davon. Wichtig ist, anzuerkennen, dass ein Bias nicht „wegtrainiert“ werden kann.


Alle Menschen haben Voreingenommenheiten – wichtig ist es daher, diese aus dem Unterbewusstsein ins Bewusstsein zu holen. Hier kann es helfen, diverse Teams zu formen; Menschen lernen nämlich je nach Kultur und Kontext unterschiedliche Codes und entsprechend unterschiedliche Verzerrungen. Unterschiedliche Perspektiven im Team zu ermutigen und allen genügend Raum zu geben, kritische Fragen zu stellen, ist also ein wichtiger erster Schritt, um das Unsichtbare sichtbar zu machen. Dabei kann es helfen, sich Unterstützung „von außen“ zu holen. Durch einen Workshop zum Thema Gender-Bias erlernen Teilnehmer:innen das nötige Handwerkszeug, um unsichtbare Bias aufzudecken und miteinander an der Arbeitskultur zu arbeiten.



*Mit Frauen* bzw. Männern* sind hier alle Menschen gemeint, die sich als solche identifizieren. Zudem verweist das Sternchen auf den konstruierten Charakter jener binärer Kategorien. Die zitierten Studien verwenden binäre Geschlechterbezeichnungen, ohne diese genauer zu definieren. In den entsprechenden Teilen werden hier die von den Autor:innen benutzte Begriffe übernommen.


Quellen:

1) Tversky, A., Kahneman, D., 1974. Judgment under uncertainty: heuristics and biases. Science, 185, 1124–1131

3) Eichler, Margit; Fuchs, Judith; Maschewsk-Schneider, Ulrike: Richtlinien zur Vermeidung von Gender Bias in der Gesundheitsforschung. Zeitschrift für Gesundheitswissenschaften: 2000, Vol.8 (4), S.293-310

4) Begeny, C. T.; Ryan, M.K., Moss-Racusin, C.A.; Ravetz, G.: In some professions, women have become well represented, yet gender bias persists—Perpetuated by those who think it is not happening. Science Advances: Juni 2000, Vol.6 (26)

5) Moss-Racusin, C.A.; Dovidio, J.F., Brescoll, V.L; Graham, M.J.; Handelsman, J.: Science faculty’s subtle gender biases favor male students. PNAS: Oktober 2012, Vol. 109(41)

6) Bian, Lin; Leslie, Sarah-Jane; Cimpian, Andrei: Gender stereotypes about intellectual ability emerge early and influence children’s interests. Science: Januar 2017, 355(6323), S.389-39



bottom of page