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Diversität in der Filmindustrie: Wer erzählt wessen Geschichten?

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    Gastautor*in
  • vor 12 Minuten
  • 5 Min. Lesezeit

Wer kennt das nicht? Nach einem langen Arbeitstag scrollt man durch Netflix – auf der Suche nach einer Serie zum Abschalten. Emily in Paris – das klingt doch gut. Die junge Amerikanerin Emily startet ihren neuen Traumjob in der Pariser Modewelt. Doch kaum angekommen, warten die ersten Herausforderungen: skeptische Kolleg*innen, kulturelle Missverständnisse und eine Stadt, die ganz anders tickt als Chicago. Während sie versucht, sich in dieser neuen Welt zurechtzufinden, bahnt sich auch schon die erste Romanze mit ihrem charmanten Nachbarn Gabriel an. Perfekt zum Abschalten nach all dem Stress – oder etwa nicht?


Stereotype mit Stil: Othering in Emily in Paris


Emily in Paris präsentiert eine klassische „Fish out of Water“-Geschichte: Eine Protagonistin

wird in eine fremde Umgebung versetzt und muss sich dort zurechtfinden. Doch hinter der

charmanten Fassade verbirgt sich ein problematisches Muster des Othering – ein Prozess, bei dem bestimmte Gruppen als fremd oder andersartig dargestellt und dadurch abgewertet werden (Emily In Paris: Romanticizing Ignorance, 2021). In der Serie zeigt sich das besonders deutlich im Verhältnis zwischen Emily und ihren französischen Kolleginnen: Sie werden als arrogant und unhöflich inszeniert – nicht etwa, weil Emily sich nicht bemüht, die neue Kultur zu verstehen oder die Sprache zu lernen, sondern weil ihre Kolleginnen angeblich Angst vor ihrer amerikanischen Arbeitsweise und ihren frischen Ideen haben.


Zudem zeichnet die Serie ein unrealistisches Bild von Paris, indem sie die ethnische Vielfalt der Stadt weitgehend ignoriert. Die wenigen nicht-weißen Charaktere werden auf stereotype Rollen reduziert: Emilys asiatisch-amerikanische Freundin macht wiederholt ironische Bemerkungen über ihre Herkunft, und der einzige Schwarze, queere Charakter bleibt auf oberflächliche Eigenschaften beschränkt. Was zunächst als harmlose Feel-Good-Serie erscheint, offenbart bei genauerem Hinsehen problematische Darstellungen, die bestehende Stereotype und Machtstrukturen unreflektiert reproduzieren.


Repräsentation in den Medien


Repräsentation in den Medien ist nicht nur ein Spiegel der Gesellschaft – sie formt auch unser Bild davon, wer dazugehört, wer eine Stimme hat und wer nicht. Stereotype oder einseitige Darstellungen führen oft dazu, dass Menschen auf bestimmte Rollen reduziert oder ganz unsichtbar gemacht werden.


Dieser Effekt wird als symbolic annihilation bezeichnet – das „symbolische Auslöschen“

gesellschaftlicher Gruppen durch deren Abwesenheit oder verzerrte Darstellung (Bakkenes,

2022). Wer nie oder nur klischeehaft dargestellt wird, entwickelt ein Gefühl von Ausgrenzung

und sozialer Entmachtung. Dies betrifft nicht nur Erwachsene, sondern insbesondere Kinder

und Jugendliche, die in Medien nach Vorbildern und Orientierung suchen.


Was wir sehen, beeinflusst auch, wie wir denken. Wenn wir in Serien immer nur die gleiche

Version einer Stadt, eines Berufs oder einer Lebensrealität sehen, halten wir sie irgendwann

für „normal“. Die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie bringt es in ihrem TED Talk “The Danger of a Single Story” (Adichie, 2009) treffend auf den Punkt: “Show a people as only one thing over and over again and that is what they become.”



Mit Diversität in der Filmindustrie ist es oft nicht weit her. Warum ist die Heldin eigentlich so oft weiß?
Mit Diversität in der Filmindustrie hapert es nach wie vor noch.


Diversität in der Filmindustrie steht immer noch vor strukturellen Problemen


Doch warum ist echte Vielfalt im Film noch immer die Ausnahme?


Vor der Kamera hat sich tatsächlich einiges getan. Laut dem UCLA Hollywood Diversity Re-

port 2025 (Ramón et al., 2025) lag der Anteil weiblicher Hauptrollen bei 47,6% – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren. Auch der Anteil von BIPOC-Darsteller*innen in Hauptrollen ist mit 25,2% so hoch wie nie zuvor.


Ein genauerer Blick zeigt jedoch: Das allein reicht nicht. Denn was bringt eine vielfältige Be-

setzung, wenn die Geschichte selbst nicht mithalten kann? Wenn etwa der Dialog weiterhin stark männlich dominiert ist – wie eine Analyse von über 2.000 Drehbüchern zeigt (Anderson

and Daniels, 2016). Selbst in Filmen mit weiblicher Hauptfigur, wie “Mulan”, sprachen männliche Figuren rund 75% aller Dialogzeilen.


Und das führt zur entscheidenden Frage: Wer erzählt eigentlich diese Geschichten? Hinter

der Kamera sind vor allem marginalisierte Gruppen weiterhin deutlich unterrepräsentiert. Der

Diversity Report (Ramón et al., 2025) zeigt klar: In Regie und Drehbuchabteilungen fehlen

vielfältige Perspektiven. Kein Wunder also, dass sich diese Lücke auch in den Geschichten

widerspiegelt – sie bleiben oft einseitig, unvollständig oder wenig authentisch. Dass es an Perspektiven mangelt, liegt dabei selten am fehlenden Talent. Vielmehr fehlt für mehr Diversität in der Filmindustrie der Zugang. 


Eine der größten Hürden sind finanzielle und soziale Barrieren (Dunn et al., 2021): Viele Menschen aus marginalisierten Gruppen können sich unbezahlte Praktika, Filmhochschulen

oder den Einstieg über persönliche Netzwerke schlicht nicht leisten. Der Zugang zur Branche wird so zum Privileg – und viele Geschichten bleiben ungehört. Barrieren also, die wir auch an anderen Stellen in der Arbeitswelt immer wieder beobachten, und die dazu beitragen, dass Vielfalt und Inklusion in vielen Unternehmen einfach nicht voran zu kommen scheinen.


Diversität als Chance – auch wirtschaftlich


Gegenargumente lassen meist nicht lange auf sich warten: „Die Filmindustrie ist eben ein Business. Da zählt, was Geld bringt.“ Aber genau hier liegt der Denkfehler. Aktuelle Studien zeigen klar: Filme mit vielfältiger Besetzung und authentisch inklusiven Geschichten schneiden besser ab – sowohl bei Kritiker*innen als auch an den Kinokassen. Der sogenannte AIR Report 2.0 (Authentically Inclusive Representation) kommt zu dem Ergebnis, dass Filme, die Diversität vor und hinter der Kamera ernst nehmen und gleichzeitig stereotype Erzählmuster vermeiden, erfolgreicher sind (Lazar et al., 2022). Entscheidend für den AIR-Score ist nicht nur, wer mitarbeitet, sondern auch, wie erzählt wird: Ob ein Film problematische Tropen vermeidet und ob er dazu beiträgt, die Darstellung bestimmter Gruppen zu differenzieren und komplexer zu machen.


Vielfalt ist also nicht nur ein ethisches Anliegen, sondern auch ökonomisch sinnvoll. 


Trotzdem geraten viele Diversitätsinitiativen wieder ins Stocken. ”Hollywood’s DEI Programs Have Begun to Die” (Press, 2024). Zahlreiche Programme werden gekürzt oder ganz eingestellt, nicht nur in der Filmindustrie, sondern in vielen Unternehmen unterschiedlichster Branchen – teils aus wirtschaftlichen Gründen, teils unter politischem Druck. Besonders in den USA formieren sich konservative Gegenbewegungen, die Stimmung gegen „woke Hollywood“ machen. Aus Angst vor Kontroversen rudern viele Studios zurück – auf Kosten echter Veränderung.


Was du für mehr Diversität tun kannst


Vielfalt beginnt nicht erst im Writers’ Room – sondern auch bei uns. Wer bewusst hinschaut,

kann Einfluss nehmen:


• Schau Filme nicht nur nebenbei, sondern frage: Wessen Geschichte wird hier erzählt

– und wessen nicht?

• Mache gute Beispiele sichtbar: Empfehle sie weiter, bewerte und teile sie. 

• Hinterfrage deine eigenen Sehgewohnheiten – und suche aktiv neue Perspektiven.


Diversität im Film heißt: mehr Perspektiven, mehr Realität, mehr Möglichkeiten. Sie löst nicht

alle Probleme unserer Zeit – aber sie bringt uns näher an Geschichten, in denen sich mehr Menschen wiederfinden können, statt ausgeschlossen zu werden. Und was du hier übst, lässt sich auch im Arbeitsleben anwenden, egal in welcher Branche: Fehlende Diversität ebenso wie gute Beispiele zu bemerken und sichtbar zu machen und so zu einem Perspektivwechsel beizutragen. 


Also: Beim nächsten Serienabend vielleicht etwas genauer hinschauen – damit wir nicht ganz unbemerkt in Emilys Paris landen.


 

Dieser Text wurde von Vincent Eberwein im Rahmen des Seminars „Diversity im Lern- und Arbeitsumfeld“ verfasst, welches Rea Eldem, Gründerin und Geschäftsführerin von IN-VISIBLE, am Hasso-Plattner-Institut leitet.

 

Quellen:


Adichie, C. N. (2009). The danger of a single story [TED Talk]. https://www.youtube.com/watch?v=D9Ihs241zeg


Anderson, H., & Daniels, M. (2016). Film dialogue broken down by gender. https://pudding.cool/2017/03/film-dialogue/


Bakkenes, F. (2022). Diversity and representation in tv and movies, and why it matters. https://www.diggitmagazine.com/papers/diversity-and- representation-tv-and-movies-and-


Dunn, J., Lyn, S., Onyeador, N., & Zegeye, A. (2021). Black representation in film and tv:


Emily in Paris: Romanticizing ignorance. (2021, February 4).


Lazar, L., Higginbotham, G. D., Signorelli, J., Wang, C., Azar, J., & Uhls, Y. T. (2022). Air re-

port 2.0 – authentically inclusive representation (tech. rep.). University of California, Los Angeles. https://www.fullstoryinitiative.com/Full_Story_Research.pdf


Press, J. (2024). Hollywood’s dei programs have begun to die.


Ramón, A.-C., Tran, M., Abston, J., & Hunt, D. (2025). Hollywood diversity report 2025: The-

atrical film (tech. rep.). University of California, Los Angeles.

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