Neulich besuchte ich eine größere Veranstaltung, auf der es um Vielfalt und Inklusion ging. Es gab spannende Gespräche zu vielen wichtigen Themen und einen tollen Austausch unter Menschen, die sich für ein gerechteres Arbeitsleben einsetzen. Doch eine Sache machte mich stutzig: Diese Veranstaltung war für Inklusion, war aber nicht wirklich inklusiv. Zumindest nicht, wenn man genauer hinschaute. Ja, es gab einen ebenerdigen Zugang, Aufzug und rollstuhlgerechte WCs, und auf den Namensschildern gab es optional Platz für Pronomen - wichtige und gute Maßnahmen, aber eben (bis auf die Pronomen) in erster Linie an Menschen mit Gehbehinderungen gerichtet. Dabei kann und sollte Inklusion doch so vieles mehr sein. Das warf bei mir die Fragen auf: Woran liegt’s? Und wie könnte man es noch besser machen?
Barrierefreiheit ist (auch) eine Ressourcenfrage
Einige Maßnahmen, wie z.B. rollstuhlgerechte Toiletten, sind inzwischen vergleichsweise weit verbreitet und teilweise sogar gesetzlich vorgeschrieben - aber Barrierefreiheit geht weit darüber hinaus. Denn so vielfältig, wie Menschen sind, so vielfältig ist es auch, was ihnen die Teilhabe erleichtert. Und genau das ist der Kern von Barrierefreiheit: Es geht um Zugang und darum, für eine Veranstaltung - oder einen Arbeitsplatz - zu sorgen, an dem möglichst viele Bedürfnisse abgedeckt werden, damit möglichst viele Menschen entspannt dabei sein und ihr volles Potenzial einbringen können. Viele denken bei Barrierefreiheit aber nach wie vor in erster Linie an räumliche Maßnahmen für Menschen mit körperlichen Behinderungen und vergessen über diesen (sehr wichtigen!) Überlegungen, dass auch schon kleinere Interventionen helfen können, um einen Raum inklusiver zu gestalten.

Sich das vor Augen zu rufen ist auch deshalb wichtig, weil Barrierefreiheit (leider) mit hohen Kosten verbunden sein kann. Letzteres hat wahrscheinlich jede*r schon mal festgestellt, der*die eine barrierefreie Veranstaltung organisieren oder Arbeitsräume zugänglicher machen wollte: Viele Gebäude sind schlichtweg weder barrierefrei noch barrierearm umzugestalten, ohne viel Zeit und Geld zu investieren. Gebärdensprachendolmetschen, Audiobeschreibungen, Übersetzungen in leichte Sprache und ähnliche Angebote zum Barriereabbau sind nicht für alle erschwinglich. Seien es zusätzliche Sitzgelegenheiten, allergiker*innenfreundliches Catering, der Aufbau von Ruheräumen - mehr kostet mehr.
Was du für Barrierefreiheit am Arbeitsplatz und bei Events tun kannst
Deshalb teilen wir heute sechs weniger offensichtliche Dinge, die ich mir auf der eingangs erwähnten Veranstaltung gewünscht hätte - und die du tun kannst, um auch mit wenig Geld bei deiner Veranstaltung oder an deinem Arbeitsplatz unterschiedliche Bedürfnisse mitzudenken.
Check deine Möbel
Schau kritisch darauf, wie die Räumlichkeiten ausgestattet sind. Wie lange müssen die Teilnehmenden potenziell stehen und gibt es genug Sitzgelegenheiten, falls das nicht für alle möglich ist? Sind die Stühle breit und stabil genug, dass sie auch von hochgewichtigen Menschen problemlos genutzt werden können? Wie hoch sind die Tische - sind sie auch für kleinere Menschen oder Rollstuhlnutzer*innen geeignet? Insbesondere Stehtische und Bierbänke stellen für viele Menschen Barrieren dar, weil sie zu hoch, schmal oder instabil sind, um sie problemlos zu nutzen. Oder in anderen Worten: Wer beim Networking die zunehmenden Rückenschmerzen ignorieren oder sich in einer Ecke an den einzigen niedrigen Tisch stellen muss, hat schon einen deutlichen Nachteil.
Teile mehr Informationen, als du auf den ersten Blick für nötig hältst. Insbesondere für neurodivergente Menschen und Menschen mit z.B. Angststörungen sind soziale Anlässe oft mit hohem Stress verbunden. Das liegt unter anderem daran, dass es ihnen schwer fallen kann, mit unbekannten Situationen umzugehen, in denen die Erwartungen oder Abläufe nicht klar sind. Deshalb kann es deine Veranstaltung deutlich inklusiver machen, wenn du proaktiv relevante Informationen teilst. Denk insbesondere an Dinge, die für dich, dein Team oder wiederkehrende Teilnehmende ganz klar sind, die aber jemand anderes vielleicht nicht weiß. Beispielsweise: Wann öffnen die Türen und wann beginnt die Veranstaltung tatsächlich? Welche Kleidung ist angemessen? Was sollten Teilnehmende mitbringen? Wird es Essen/Getränke geben und wenn ja, was und wann? Wie ist der Ablaufplan? Wer ist für was zuständig? Welche Inhalte werden vorkommen? So können Teilnehmende gut vorbereitet und sicher ins Event starten und ihre Energie aufs Wesentliche konzentrieren. Das gilt übrigens nicht nur für größere Veranstaltungen, sondern auch für z.B. Bewerbungsgespräche, Teamevents oder Schulungen.
Denk bei der Zeitplanung mit.
Auch das Timing einer Veranstaltung kann entscheiden, wer in welchem Maße teilnehmen kann - egal ob Teammeeting oder mehrtägige Konferenz. Das heißt natürlich nicht, dass du die Kalender aller möglichen Teilnehmenden auswerten musst, aber es ist hilfreich, ein Auge auf größere Zusammenhänge zu werfen. Ganztägige Veranstaltungen können Eltern die Teilnahme erschweren, besonders in den Schulferien. Das Teamfrühstück im Ramadan schließt muslimische Kolleg*innen aus. Du kannst die Termine verlegen oder anders für mehr Inklusion sorgen - z.B. könntest du Kinderbetreuung anbieten oder, wenn ein Abendtermin für alle okay ist, statt zum Frühstück mal zum Fastenbrechen einladen.
Mach Räume für verschiedene Geschlechter inklusiv.
Menschen, die nicht weiblich oder männlich sind oder nicht eindeutig als eines von beidem durchgehen, stoßen im öffentlichen Raum oft an Grenzen, auch am Arbeitsplatz und bei Veranstaltungen. Besonders wichtig ist hier: Sorge dafür, dass es mindestens eine geschlechtsneutrale Toilette gibt und sie auch auffindbar ist, also nicht unausgeschildert im Keller. Gibt es noch keine neutralen Toiletten, kannst du eine oder mehrere umwidmen und z.B. mit einem entsprechenden Zettel versehen. Sollte das nicht möglich sein (etwa im Büroalltag, wo geschlechtergetrennte Toiletten vorgeschrieben sind), kann es helfen, wenn du zumindest deutlich machst, dass die Räume entsprechend der eigenen Identität genutzt werden dürfen. Was du sonst noch tun kannst: Frage Geschlecht nicht ab und teile nicht nach Geschlecht auf, wenn es nicht unbedingt nötig ist (vermeide also z.B. nach Geschlecht getrennte Kleidungsvorschriften oder unterschiedliche Geschenke für Männer und Frauen). Schaffe eine Möglichkeit, niedrigschwellig die richtige Ansprache und Pronomen zu teilen, z.B. auf dem Namensschild oder in der E-Mail-Signatur. Nutze gendergerechte Sprache.
Achte auf sensorische Reize.
Einige Menschen reagieren sehr sensibel auf bestimmte Geräusche, Gerüche, visuelle Reize, Texturen oder Berührungen. Das kann ablenken oder sogar zu körperlichem Unwohlsein führen und deshalb die Arbeit oder die Teilnahme erschweren. Wirf deshalb einen Blick auf euren Arbeitsplatz oder den Veranstaltungsraum und beseitige, wenn möglich, typische “Problemreize”: Laut summende Elektrogeräte, Gespräche oder anderer Lärm im Hintergrund, flimmerndes oder sehr helles Licht (z.B. Neonröhren) und starke Gerüche, wie etwa Parfüm, sind beispielsweise für viele Menschen anstrengend. Lassen sich die Reize selbst nicht beseitigen, kannst du möglicherweise Abhilfe schaffen, indem du z.B. das Arbeiten mit Ohrstöpseln oder Kopfhörern erlaubst oder einen reizarmen Rückzugsraum anbietest.
Mach klar, wer zuständig ist.
Wie schon angedeutet, wirst du in den meisten Fällen nicht alle Bedürfnisse aller Teilnehmenden oder Angestellten von vornherein abdecken können. Deshalb ist es wichtig, dass du eine niedrigschwellige Möglichkeit schaffst, um Fragen und Wünsche zu äußern. Das heißt: Alle müssen wissen, an wen sie sich wenden können, wenn sie etwas brauchen oder etwas passiert ist. Im Unternehmen kann das z.B. der*die Gleichstellungsbeauftragte sein. Bei Veranstaltungen ist es sinnvoll, Ansprechpersonen nicht nur in den Informationen aufzulisten und/oder vorzustellen, sondern sie auch visuell kenntlich zu machen, z.B. durch eine Armbinde, einen gut sichtbaren Button oder ein Schlüsselband in einer speziellen Farbe. Das gibt Teilnehmenden die Sicherheit, dass diese Person für sie ansprechbar ist.
Mach’s barrierefrei und rede darüber
Es gibt also nahezu unendlich viele Möglichkeiten, Barrierefreiheit am Arbeitsplatz oder bei Veranstaltungen zu verbessern, wenn man verschiedene Vielfaltsdimensionen mitdenkt. Was es allerdings zu vermeiden gilt: Das “Wenn niemand sagt, dass er*sie diese Bedürfnisse hat, dann müssen wir das auch nicht anbieten” Mindset. Menschen, die alltäglich mit Barrieren konfrontiert werden, sind es häufig Leid, nicht mitgedacht zu werden oder um eine “Extrawurst” bitten zu müssen. Wenn niemand etwas sagt, heißt das also nicht, dass niemand dieses Bedürfnis hat; es kann auch bedeuten, dass niemand sich traut, die eigenen Bedürfnisse offenzulegen, und sich stattdessen mit überdurchschnittlicher Anstrengung durchbeißt oder einfach gar nicht teilnimmt. Beides ist verschenktes Potenzial, sowohl für die betroffene Person als auch für Veranstaltende und Arbeitgeber*innen.
Deshalb ist es auch wichtig, Barrieren nicht nur abzubauen, sondern das auch zu kommunizieren. Schreib in den Veranstaltungsinformationen, der Stellenausschreibung, der Einladung zum Bewerbungsgespräch oder den Onboarding-Unterlagen, was du für Barrierefreiheit tust, und lade ein, weitere Bedürfnisse zu teilen. Das gibt Teilnehmenden, Bewerber*innen und Kolleg*innen Sicherheit und trägt zusätzlich dazu bei, Barrierefreiheit zu normalisieren und unsere ganze Gesellschaft ein kleines Stückchen inklusiver zu machen.
Du willst deinen Arbeitsplatz inklusiver gestalten, aber weißt nicht so genau, wo du anfangen sollst? Wir helfen dir gerne, z.B. mit unserem Diversity Einstiegskit - schau doch mal rein!